Christian Herzig & Johanna Stöhr
Das Tu Was! Semester

Das Tu Was! Semester

In unserem Seminar „Nachhaltiges Wirtschaften in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ beschäftigen wir uns – jedes Jahr wieder im Sommersemester – mit aktuellen Fragestellungen einer verantwortungsbewussten Produktion von Lebensmitteln. In Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Region machen sich Studierende mit Fragen vertraut, die z.B. das soziale Miteinander in der regionalen Lebensmittelproduktion oder die Gestaltung von ökologischen und fairen Wertschöpfungsketten betreffen.

Unser Fokus in 2020

In diesem Sommer widmen wir unser Seminar dem Gemeinwohl. Hierzu erarbeiten Studierende der Ökologischen Agrarwissenschaften in Witzenhausen konkrete Maßnahmen, die regionalen Akteuren in der Land- und Lebensmittelwirtschaft während der Corona-Krise helfen. Auf dieser Website (www.dastuwassemester.de) berichten sie in Blogs über ihre Projekte, mit denen sie sich für eine nachhaltige Landwirtschaft und regionale Selbstversorgung bzw. Ernährung mit gesunden Lebensmitteln einsetzen. Dabei kooperieren sie mit Betrieben, Vereinen und weiteren Akteuren wie z.B. Bildungseinrichtungen, um diesen dabei zu helfen, möglichst gut durch die Corona-Zeit zu kommen.

Bewährte Kooperation mit der GWÖ-Bewegung

Warum beschäftigen wir uns mit gemeinwohlorientiertem Wirtschaften und Handeln im Kontext von Ernährung und Lebensmitteln? Bereits im letzten Jahr haben wir mit der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Gruppe in Kassel zusammengearbeitet, um sieben hessische Betriebe der Land- und Lebensmittelwirtschaft nach ganzheitlich-nachhaltigen Kriterien zu bewerten. Die Kriterien der GWÖ spiegeln eine Vision für eine am Gemeinwohl orientierte Ökonomie wieder, geleitet von Werten wie Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Christian Felber, der Initiator der internationalen GWÖ-Bewegung, die für ein alternatives Wirtschaftssystem eintritt, war letztes Jahr Gast bei uns im Seminar.

Sondersituation Corona

Eigentlich war geplant, dass Studierende dieses Jahr erneut regionalen Betrieben und Organisationen helfen, sogenannte Gemeinwohl-Berichte zu erstellen, die das solidarische Handeln und Wirtschaften eines Betriebes abbilden. Im März wurde jedoch während der Semestervorbereitung schnell klar, dass Unternehmensbesuche zur Datenerhebung und engen Zusammenarbeit bei der Bilanzierung nicht möglich sein würden: Der Corona-Virus machte Zusammenarbeit mit Externen, Exkursionen und Treffen in Gruppen oder vor Ort bis auf Weiteres unmöglich. Und die Unternehmen und Organisationen, die Lebensmittel produzieren, bereitstellen und verteilen, haben in diesem Sommer andere Sorgen als Managementmethoden gemeinwohlorientierten Wirtschaftens zu erproben. Daher haben wir uns entschieden, auf andere Weise zusammenzuarbeiten und Hilfe anzubieten, wo sie nötig ist.

Das Ziel unseres Service Learning Projekts ist, zivilgesellschaftliche oder wirtschaftliche Akteure zu unterstützen, z.B. im Zusammenhang mit neuen oder angepassten Geschäftsstrategien, durch Kommunikationsmaßnahmen oder Bildungsangebote. Die zwei Voraussetzungen für die Zusammenarbeit waren: die Maßnahme muss einen Bezug zu Ernährung, Lebensmittelproduktion, -konsum oder -verteilung haben und sie muss im digitalen Lehrsemester weitestgehend kontaktfrei geplant bzw. durchgeführt werden können. Mit einigen Projekten haben wir auf konkrete Anliegen von regionalen Akteuren reagiert. Zu Projektbeginn haben wir GWÖ-Betriebe aus dem letzten Jahr, aber auch viele weitere Organisationen des Service Learning Netzwerks gefragt, ob bzw. wo Studierende unseres Seminars mit Projekten helfen können. Einige Studierende haben aber auch eigene Ideen eingebracht und setzen diese nun kreativ um. Insgesamt wird in acht Projekten allein oder zu zweit ganz praktisch geholfen, sei es konzeptionell, organisatorisch oder strukturell.

Ein Solidarsemester?

Die Idee zu diesem Projekt entsprang einem ZEIT Artikel der Wissenschaftsjournalistin Anna-Lena Scholz. Sie rief in einem ihrer Beiträge Anfang März zu einem Solidarsemester auf, indem Studierende und Professor*innen ganz besonders helfen könnten. Ihre Darstellung von Lehrenden und Studierenden als „Corona-Zivis“, die besonders krisenresistent ihren Lebens- und Arbeitsplan flexibel und mit viel Freiheit umschreiben könnten, hat durchaus fragwürdige Seiten. Auch Studierende sind in ihren Studien- und Lebensplänen direkt von Corona betroffen, die Mehrarbeit an Hochschulen durch Umstellung der Lehre und Anpassungen von Forschungsvorhaben immens. Die Kritik im Internet ließ hier somit nicht lange auf sich warten. Aber ihr Aufruf richtete sich vor allem gegen die zu dieser Zeit aufkommende Diskussion, das Semester aufgrund der schwierigen Bedingungen als ein „Nicht-Semester“ zu deklarieren. Im Gegenteil sollte sich Lehre und Studium in einem solch besonderen Semester (noch) eng(er) mit lebensweltlichen Problemstellungen beschäftigen und soziales Engagement mit Studienverlaufsplänen verbinden.

Enge Zusammenarbeit mit Praxispartnern

Der Kooperations-Gedanke passt sehr gut zum Charakter unseres jährlichen Seminars. Auch in der Vergangenheit haben wir die Chance genutzt, um mit Studierenden „raus aus der Uni zu gehen“. Zum Beispiel im Jahr 2017, während der Documenta d14, als wir für 100 Tage einen Raum zur Auseinandersetzung mit Formen der Ernährung und Lebensmittelproduktion geschaffen haben. Als „foodoctopia“ hatten wir das Projekt rund um unser regional-globales Ernährungssystem bezeichnet, das visionär und kritisch zugleich war. Letztes Jahr dann haben wir angefangen, mit der regionalen GWÖ Gruppe in Kassel zu kooperieren. Ursprünglich zusammengebracht hat uns die Service Learning Koordinatorin der Universität Kassel, Imke-Marie Badur, die in regem Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Akteuren der Region steht und unsere Zusammenarbeit auch dieses Jahr wieder dankenswerterweise unterstützt.

Eigenverantwortung und Reflexion

Grundsätzlich gilt in unserem Seminar: Die Projektideen werden von den Studierenden eigenverantwortlich allein oder zu zweit durchgeführt, eng mit den Praxisakteuren abgestimmt und regelmäßig mit der Gesamtgruppe diskutiert. Um das eigene Handeln reflektieren und sich mit dem Konzept eines gemeinwohlorientierten, solidarischen Wirtschaftens in der Land- und Lebensmittelwirtschaft vertieft auseinandersetzen zu können, erhalten sie konzeptionell-theoretische Inputs von zwei GWÖ Akteuren aus Hessen. In ihren Online-Sitzungen mit den Studierenden bieten der GWÖ-Berater Gerd Pöll (GWÖ Kassel) und der GWÖ-Bildungsreferent Dirk Posse (GWÖ Lahn-Eder) zugleich viel Raum für gemeinsame Diskussion.

Die Projektideen im Einzelnen

Die dreizehn Teilnehmenden entwickelten im Lauf der ersten Semesterwochen acht Projektideen, mit denen sie sich für die Gesellschaft engagieren und den Gemeinwohlgedanken in die Tat umsetzen wollen. Dabei haben sie zwei GWÖ-bilanzierte Unternehmen und ehemalige Service Learning-Partner aus dem letzten Jahr, drei familieneigene landwirtschaftliche Betriebe, zwei gemeinnützige Vereine, diverse Schulen sowie natürlich die GWÖ-Regionalgruppe Kassel als Praxispartner an ihrer Seite.

Die Projekte und ihre Praxispartner auf einen Blick:

Bloggen statt Büffeln

In ihren Blogs berichten die Studierenden seit Mai dieses Jahres über ihre Vorhaben, gemachten Erfahrungen und Gedanken zum gemeinwohlorientierten Handeln und Wirtschaften. Die Website für die Blogs hat Anni, unsere „technische“ Hilfskraft am Fachgebiet und ebenfalls Studierende der Ökologischen Agrarwissenschaften, entwickelt und designt. Da wir alle beim Bloggen überwiegend Neuland betreten, haben wir uns weitere Hilfe von Jan Rein geholt. Jan betreibt seit einigen Jahren den Blog Satte Sache und gibt uns und den Studierenden regelmäßig Einblicke in Dos and Don’ts des Bloggens.

In den nächsten Monaten werdet ihr auf unseren Blogseiten regelmäßige Updates über die Projektfortschritte und Erfahrungen der teilnehmenden Studierenden lesen können. Seid mit uns gespannt, was die kreativen Köpfe in Witzenhausen in diesem in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Semester so auf die Beine stellen!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert