Marie & Till
Vom Coronataxi zur Abokiste?

Vom Coronataxi zur Abokiste?

Seit unserem letzten Blogeintrag aus dem Juni sind wieder einige Wochen ins Land gezogen. An der beschriebenen Frühjahrs- und Vorsommertrockenheit hat sich in unserer Gegend wenig getan. Vereinzelte Starkregenereignisse von über 100mm in wenigen Stunden sind über das gewünschte Ziel einer sanften, gleichmäßigen Durchfeuchtung des Bodens hinausgeschossen. Dagegen konnten wir den ca. 30mm, welche hier über die letzten vier Wochen gefallen sind, beim Verdampfen zusehen. Breite Risse haben sich in einigen unserer Böden aufgetan. Die wenigen Tropfen verschwinden darin ohne sichtbare Wirkung und erinnern uns an Fotoreportagen aus Geo oder National Geographic über besonders trockene und warme Wüstenregionen unseres Planeten. Im Weizen lassen sich dadurch bereits Trockenheitsschäden feststellen. Er reift frühzeitig ab und die Erntemengen dürften geringer als üblich ausfallen. Auch der durstige Mais wächst langsamer als gewünscht, hat im Gegensatz zum Getreide aber auch noch ein wenig Zeit, um Rückstände aufzuholen. Die beregneten Kulturen wie Kartoffeln, Braugerste und Bohnen scheinen das warme Wetter in Kombination mit regelmäßigen Duschen dagegen zu genießen. Sie wachsen prächtig und lassen uns auf eine gute Ernte hoffen.

Unsere Gemeinwohlaktion, in der wir einige Risikopatienten und Kunden unseres Hofladens während der Coronapandemie mit Lebensmitteln versorgen, um ihre Infektionsgefahr durch vermeidbare Supermarktbesuche zu mindern trägt bereits Früchte und entwickelt sich für uns langsam zur Routine. Wir treffen unsere Kunden in recht regelmäßigen Abständen, auch in diese besondere Situation scheint ein gewisser Alltag eingekehrt zu sein. Wir berichten über neue Vorkommnisse, überbringen die ersten Frühkartoffeln und versuchen den neuen Geschmack bestmöglich wiederzugeben.

Die Auseinandersetzung mit der Gemeinwohl-Ökonomie im Zuge des von Corona geprägten Sommersemesters an der Uni Kassel veranlasst uns als Hofgemeinschaft, jene Ideen und Prinzipien zu durchdenken. Wir setzen uns, wie bereits in den vorherigen Blogs beschrieben, aktiver mit dem Gemeinwohl innerhalb und außerhalb unseres Betriebes auseinander. Dabei entstehen viele kleine Projekte, etwa Kartoffellieferungen an die Tafel nach außen, ein offeneres Konzept zur Sauberhaltung unserer Sozialräume nach innen. Nach mehreren Gesprächen entsteht aber manchmal auch der Wunsch nach einer genaueren Bilanzierung, sodass wir uns fragen, ob wir für unseren Betrieb eine Gemeinwohlbilanz erstellen wollen. Dies ist für den Winter, die weniger arbeitsintensive Zeit, angedacht. Momentan sehen wir nicht genügend freie Arbeitspotentiale dafür, Ernte und anschließende Aussaat stehen bevor. Außerdem bietet der Winter in der Landwirtschaft generell die Möglichkeit einer besseren Reflexion des letzten Jahres. Die Ernte ist eingefahren, auf den Feldern regiert die Feuchtigkeit, ein gutes Zeitfenster für Ruhe und Erholung, aber auch für große Selbstkritik und Sprungbrett für Verbesserungen im neuen Jahr. Natürlich fragen wir uns ein wenig: Was passiert, wenn wir nur wenige Gemeinwohlpunkte erreichen würden? Würden wir das Ergebnis nicht ernst nehmen? Oder unser Leben und Arbeiten stärker als gedacht anpassen müssen? Bei einem groben Blick auf die Gemeinwohl-Matrix stellen wir allerdings fest: So schlecht würden wir wahrscheinlich nicht abschneiden. Natürlich ergibt sich an vielen Punkten Verbesserungspotential, wir scheinen aber auch nirgendwo völlig abgeschlagen und entgegen der Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie zu wirtschaften. Beispielsweise bemühen wir uns um kontinuierliche Fortbildungsmaßnahmen und Betriebsausflüge. Sei es zum Nachbarn in der Umgebung zur Begutachtung der neuen Zwiebellager- und verarbeitungstechnik oder zum Spaß und Teambuilding in der großen Hofrunde nach Hannover zur Agritechnica, um technische Neuerungen zu begutachten, aber auch Freunde zu treffen und gemeinsam ein Bier zu trinken. Besonders dieser Austausch unter Kollegen inspiriert, eröffnet Ergänzungen im Sortiment des Hofladens, zeigt Möglichkeiten der weiteren Spezialisierung des Betriebes auf und macht Mut, wenn es darum geht Problemen mit Optimismus und Kreativität zu begegnen.

Wie weit unser Corona-Hofladen-Projekt von der Betriebsgemeinschaft und den Kunden getragen wird ist momentan noch nicht absehbar. Aber auch hier haben wir glücklicherweise das Gefühl, die Schnüre in den eigenen Händen zu halten. Sollten wir entscheiden, dass es sich bei diesem Projekt der Gemeinwohl-Ökonomie um ein zeitlich abgegrenztes Zusatzangebot für langjährige Kunden in einer schweren Zeit gehandelt haben soll, so würden wir es im Abgleich mit dem Fortlauf der Corona-Pandemie im zweiten Halbjahr 2020 weiterlaufen lassen und spätestens bei Bereitstellung eines entsprechenden Impfstoffes auslaufen lassen. So konnten wir uns engagieren, unseren älteren Mitbewohnern unter die Arme greifen. Eine andere Perspektive in unseren Köpfen verläuft allerdings in entgegengesetzter Richtung. Was, wenn unser Hofladentaxi in Coronazeiten nur der Start für einen größeren Lieferdienst mit dem Ziel einer Abokiste war? Auch der kleine Umfang bisher hat uns bereits Probleme und mögliche Lösungen aufgezeigt, die uns ohne diesen Selbstversuch verborgen geblieben wären. Warum also nicht dieses neugewonnene Wissen nutzen, Betriebe aus der Nachbarschaft und deren direkt vermarktbare Produkte mit einbeziehen und so einen wirklichen gemeinwohlökonomischen Zugewinn erzielen? Eine Bio-Abokiste für die Region mit frischen, regional produzierten Lebensmitteln auf der einen und ein weiteres Standbein für den eigenen Betrieb auf der anderen Seite.

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